Mikrokredite trieben Bauern in die Schuldenfalle

Ein paar Euro Kredit sollten armen Bauern in Entwicklungsländern eine Chance geben. Doch auch im Falle des Mikrokredites kann sich das Blatt extrem zu den Ungunsten von sowohl Kreditnehmer als auch –geber wenden. So ist es vielen Bauern und anderen Menschen in Indien ergangen, die sich mit der geliehenen Kreditsumme die Basis für eine bessere Existenz schaffen wollten. Somit können wir uns folgende Frage gleich vorweg stellen:

Können Mikrokredite Wege aus der Armut bereitstellen?

Von einer jungen Frau wird berichtet, die sich mit der geliehenen Summe von umgerechnet 166 Euro eine Nähmaschine gekauft hatte, mit der sie morgens Kleider ihrer Nachbarn in einem armen Dorf in Indien flickte. Den Nachmittag verbrachte sie mit Studieren. Das ging alles gut, bis sie und ihre Familie eines Tages eine Woche lang nicht in der Lage waren, ihre Kreditraten zu bezahlen. Zur Begleichung der Raten nahm die Familie einen neuen Kredit auf. In weiterer Folge wurden es dann vier Kredite von vier verschiedenen Banken. Da jedoch das monatliche Einkommen der Familie viel zu gering war, führte dies dazu, dass sie sich die Rückzahlungen nicht mehr leisten konnten. Der Familie wurden Überbrückungskredite zu unmenschlichen 120 Prozent Zinsen angeboten. Die Verschuldung ging so weit, dass man den Eltern anbot, die Tochter an ein Bordell zu verkaufen, woraufhin diese Selbstmord beging.

Mikrokredite in der Entwicklungshilfe einzusetzen bedeutete bis vor kurzem noch, dass man gleichzeitig helfen und etwas einnehmen konnte. An sich wäre das ja noch in Ordnung. Der Pionier auf dem Gebiet der Mikrokredite in Entwicklungsländern, Muhammad Yunus, bekam 2006 sogar den Friedensnobelpreis. Die Branche florierte. Mikrokredite werden mittlerweile auf der ganzen Welt in großen Mengen vergeben. Gerade in der Landwirtschaft werden die kleinen Kredite sehr benötigt, etwa in asiatischen Ländern wie Indien, Sri Lanka und Kambodscha.

Banken verlangen für die Mikrokredite bis zu 30 Prozent Zinsen – angesichts der brutalen Zinnsätze, die jedoch ansonsten die Kredithaie verlangen würden, sind die Menschen so ja noch gut davongekommen. Viele der armen Menschen gehen davon aus, dass sie jederzeit Geld leihen können. Die hohen Zinsen erklären sich schlicht und einfach daraus, dass die Kreditvergabe auf dem Land sehr schwierig ist. Je größer der Erfolg der Mikrokredite wurde, desto mehr Banken etablierten sich auf diesem Gebiet, auch manche Wohltätigkeitsorganisationen schlossen sich an und änderten ihren Fokus.

Die Banken, die sich nun auf Mikrokredite spezialisiert hatten, sahen zusehends ihren Gewinn vor Augen. Das sorgte dafür, dass sich die Kreditnehmer mit immer mehr Schulden konfrontiert sahen und recht bald nicht mehr in der Lage waren, diesen nachzukommen. In manchen Dörfern begingen die Leute der Reihe nach Selbstmord, da die Rückzahlungen für sie völlig unmöglich geworden waren und sie die Existenz kosteten. Die indische Regierung reagierte auf die Entwicklungen und ordnete den Banken an, die Zinsen zu senken und die Raten statt wöchentlich nur noch einmal im Monat einzutreiben. Dies nahm den Banken natürlich den Geschäftswind aus den Segeln.

Aufgrund der negativen Entwicklung der Mikrokredite wird Muhammad Yunus nun unter Druck gesetzt. Man wirft ihm sogar vor, Gelder für Entwicklungshilfe aus Norwegen veruntreut zu haben, was allerdings von Norwegen schon längst dementiert wurde. Zusätzlich dazu ist Yunus noch wegen Verleumdung angeklagt, weil er der Regierung Geldgier unterstellt hatte, und ihm wurde die Teilnahme am Weltwirtschaftsforum in Davos verweigert. Eine Verurteilung ist allerdings eher unwahrscheinlich.

Die Frage, die zu Beginn der ganzen Auseinandersetzung stand, wurde jedoch noch nicht beantwortet: Helfen Mikrokredite oder richten sie im Endeffekt nur noch mehr Schaden an? Wir haben ein paar abschreckende Beispiele gesehen, was passieren kann, wenn man sich in zu vielen vermeintlich kleinen Krediten verstrickt. Laut Yunus sind das Problem gewinnorientierte Banken, die – um ihren Gewinn steigern zu können – die Armen mittels hoher Zinsen ausnehmen wie Weihnachtsgänse. Genau genommen wäre es aber doch eigentlich besser, den Armen aus ihren Schulden zu helfen, damit sie später investieren und weitere Kredite zu besseren Zinsen aufnehmen können, meint Yunus weiters. So gesehen würden Mikrokredite natürlich eine Hilfe darstellen.

Mittlerweile ist die Anzahl der Mikrokredite in allen Ländern zu hoch, doch hat es eben v.a. Indien sehr hart getroffen. Die anfängliche Begeisterung, sich Geld leihen zu können, hat sich bitter gerächt, denn irgendwann ist die Blase zerplatzt.

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