Rating Agenturen schuld an Finanzkrise? Interview mit Moody’s Präsident Michel Madelain.

Das folgende Interview wurde aus der linksliberalen französischen Tageszeitung Liberation entnommen, und in die deutsche Sprache übersetzt.

Die Rating-Agenturen werden beschuldigt, einer der Hauptgründe für die Wirtschafts- und Finanzkrise zu sein. Im Speziellen haben sie weder die Subprime-Krise 2007 noch die Eurokrise 2010 kommen sehen. Als Reaktion auf den Eingriff der europäischen Kommission in diesen Sektor rechtfertigt sich Michel Madelain, 55, stellvertretend für Moody, eine der wichtigsten Rating-Agenturen. Der gebürtige Franzose ist seit November 2010 der Präsident des Moody’s Investors Service, eine amerikanische Agentur, die Finanzprodukte und öffentliche Schulden beurteilt. Es handelt sich dabei um eine der beiden Zweigstellen der Moody Corporation.

Der amerikanische Kongress unterstreicht in seinem Bericht über die Finanz- und Wirtschaftskrise im Jänner die Verantwortung der Rating-Agenturen, da diese unfähig gewesen waren, die Risiken der Subprime und anderer riskanter Produkte zu erkennen, denen sie ihre Höchstnote verliehen hatten. Bekennen Sie sich dafür schuldig?

Der Bericht zählt eine Reihe von Gründen auf, unter anderem unseren Beitrag zur Entwicklung gewisser Finanzprodukten in den letzten Jahren. Man kann, so wie wir das selbst auch handhaben, die Bewertungen, die wir abgegeben haben, mit einem kritischen Auge betrachten. Die Ratings reflektieren aber unsere Beurteilung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Es erscheint, dass unsere Vorausschau großteils überholt wurde, weil die Immobilienkredite oftmals an Haushalte vergeben wurden, die nicht kreditwürdig waren und dadurch haben wir die Entwicklung des Kredites in dieser Weise und den Wertverlust von amerikanischen Immobilien nicht voraussagen können.

Gibt es hier keinen fundamentalen Interessenskonflikt, da Sie ja von den Unternehmen bezahlt werden, um die Qualität ihrer Anleihen und Darlehen zu beurteilen? Wie bleiben Sie unter solchen Bedingungen objektiv?

Wir betrachten unsere Beurteilungen auf einem globalen Level. Sie werden sehen, dass sich das Problem, das wir im Bereich der amerikanischen Hypothekenprodukte hatten, bei keinen anderen Produkten, die wir bewerteten, finden lässt. Ich kann sogar behaupten, dass unsere Bewertungen im Industrie- und Handelssektor historisch gesehen sehr gut sind.

Die Verantwortlichkeit von Moody steht damit nicht in Verbindung mit Ihren Bewertungsfehlern?

Unsere Verantwortung muss man im Rahmen der Leistungen, die wir erbringen, bewerten. Die eigentliche Frage ist, ob die Bewertung, die wir über die Risiken eines Produktes abgegeben, nach strikten methodologischen Verfahren durchgeführt wurde. Es handelt sich dabei um unsere Meinung, die wir bestmöglich gemäß der Informationen die wir zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung hatten, geformt haben.

Sie haben also die Krise der öffentlichen Schulden in der Eurozone nicht kommen sehen?

Seit den 50er Jahren wurden die Staatsschulden der Industrieländer als Art sicherer Kapitalanlagen gesehen. Historisch gesehen sah man ein größeres Risiko bei den Schwellenländern, speziell Lateinamerika und Asien. Heute hat sich das Richtung Europa verlagert. Haben wir das Risiko also vorausgesehen? Nehmen wir als Beispiel Griechenland: Die höchste Note, die wir Griechenland jemals gegeben haben, war A1, was für Anleihen mit geringem Risiko vergeben wird. Das ist nicht die höchste Note: Ich möchte hier anmerken, dass die beste Note AAA ist und nur an Länder vergeben wird, die ein minimales Risiko aufweisen. Danach kommt AA, dann A, dann Baa (jeweils mit drei Stufen, von 1 bis 3). Ab Ba ist man im sehr spekulativen Bereich und es gibt ein großes Risiko. Je weiter man diese Bewertungsskala hinuntergeht, desto größer wird das Risiko. C ist die niedrigste Stufe. Griechenland war noch nie Deutschland oder Frankreich. Die Bewertung hatte mit den Leistungen des Staates selbst zu tun, aber auch mit der Tatsache, dass Griechenland zur Eurozone gehört, wodurch der Staat von der Unterstützung der Partner profitieren konnte.

Aber seit die Krise begonnen hat, stufen Sie regelmäßig die Note der Staaten die mit Marktproblemen konfrontiert sind, herab, wie z.B. Portugal, Griechenland, Spanien, Irland…

2009 und 2010 ist uns bewusst geworden, dass die Eurozone nicht so stark war, wie man angenommen hatte. Heute werden die griechischen Staatsschulden mit Ba 1 bewertet, also als spekulativ. Griechenland befindet sich unter negativer Beobachtung, das heißt, das Risiko ist groß, dass die Bewertung noch weitere Stufen absinkt.

Trotz der strukturellen Reformen, die Griechenland derzeit unternimmt und dem strengen Plan, der durchgesetzt wird…

Griechenland gibt sich große Mühe, und das bestreitet niemand, auch wenn die Maßnahmen sehr zur Benachteiligung der Bevölkerung geschehen. Aber werden diese Mühen ausreichen, um die Schulden abbezahlen zu können? Die Tatsache, dass die Bewertung Griechenlands unter Beobachtung steht, reflektiert unseren Zweifel daran, dass Griechenland sich aus der Situation retten kann.

Jedes Mal, wenn Sie die Bewertung eines Staates herabsetzen, wirkt sich das in Form einer automatischen Verteuerung der Kredite aus, was die Rückbezahlung der Schulden wiederum schwieriger macht…

Es ist übertrieben, zu sagen, dass einzig unsere Bewertung eine automatische Verteuerung der Zinsen zur Folge hat. Zum Beispiel bewerten die Märkte heute die Staatsschulden Griechenlands und Irlands mit einem sehr höheren Risiko als das von uns vergebene.

Die Finanzregelungen orientieren sich dennoch an Ihren Bewertungen, was einen Investor dazu zwingen könnte, seine Anleihen, die er besitzt, zu verkaufen…

Die Bewertung ist ein sehr praktisches Instrument, um Risiken einschätzen zu können. Es ist ein Instrument, das auf alle Arten des Kapitals angewendet werden kann, dadurch wurden sie als Mittel für vorsorgliche und reglementierende Bestimmungen eingesetzt. Moody hat das immer schon kritisiert: Die Bewertung muss in ihrem Bereich bleiben, ein Instrument, das bei Investitionsentscheidungen helfen soll.

Heute, durch Initiative des G20 und anderen internationalen Akteuren, versucht man endlich, die Bewertungen aus dieser Normsetzung und finanziellen Infrastruktur zu entfernen. Man muss die gewissen Punkte ausfindig machen, wo eine zu große Abhängigkeit der Bewertung gibt oder ein einziger Verweis vorhanden ist, um dort bei der Behebung der Missstände anzusetzen. Wenn zum Beispiel eine Zentralbank eine Garantie für seine Anleihen an die Handelsbanken nur Anlagevermögen mit einer gewissen Note akzeptiert, führt dies zu weiteren mechanischen Effekten, sobald die Note herabgestuft wird.

Hat die Explosion der Verschuldung der westlichen Staaten nach Beginn der Finanzkrise nicht das Staatsrisiko gesteigert?

Die Situation hat sich verändert: Von einer Abwesenheit jeglichen Risikos zu einer Situation, in der das Risiko Realität für die Gesamtheit der Industrieländer geworden ist. Aber dies variiert bei jedem Staat: 100% des BIP der Verschuldung hat nicht dieselbe Bedeutung sondern hängt von der wirtschaftlichen, demographischen und politischen Struktur des Staates ab.

Glauben Sie nicht, dass sich eine Umstrukturierung der Staatsschulden der Westmächte längerfristig durchsetzen wird?

Für gewisse Länder stellt sich diese Frage nicht. Aber jene, die von den höheren Bewertungen profitieren, haben sicherlich die Fähigkeit, den Rückzahlungsverpflichtungen nachzukommen.

Inklusive die Vereinigten Staaten und Frankreich?

Diese Länder haben eine Bewertung von AAA mit einer stabilen Perspektive.

© Photographer: Franku | Agency: Dreamstime.com

1 Kommentar

  1. Es geht den reichen nationen doch nur darum ihre AAA im Rating zu behalten obwohl keiner mehr auch nur 1 A verdient hat aufgrund der tatsächlichen Schuldenstände um die man sich pausenlos verrechnet um hinterher so überrascht zu sein.

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